Wo liegt der Unterschied zwischen den beiden austenitischen Edelstahl Werkstoffgüten 1.4404 und 1.4571? Hier einige generelle Antworten auf diese Frage inklusive der Stärken und Schwächen der beiden Werkstoffe.
Traditionell ist in Deutschland, Österreich und Osteuropa bei säurebeständigem Edelstahl immer der Werkstoff 1.4571 gemeint. In anderen Ländern und Kontinenten, sprich Amerika, Asien und dem übrigen West-Europa, kommt andererseits der Werkstoff 1.4404 zum Einsatz.
Trivia – der Ursprung von Edelstahl
Beginnen wir vor mehr als 100 Jahren als bei der Firma Krupp rostbeständige Edelstähle entwickelt wurden. Die Bezeichnung V2A entstand 1912 bei der Erschmelzung der Edelstahl Werkstoffgüte 1.4300. Diese ist heute nicht mehr im Gebrauch, aber der Name wurde auf die heutigen Sorten von austenitischem Edelstahl 1.4301, 1.4307 und 1.4305 übertragen. V2A entspricht der „Versuchsschmelze 2 Austenit“.
V4A ist die Weiterentwicklung zur „Versuchsschmelze 4 Austenit“ mit der Legierung von mindestens zwei Prozent Molybdän.
Diese antiquierten Bezeichnungen werden in der heutigen Zeit wie folgt ersetzt:
Rostbeständig -> V2A – 1.4301-1.4307
Säurebeständig -> V4A – 1.4404 ursprünglich 1.4571
Damaliger Stand der Technik
Die ersten austenitischen Edelstahl Güten (wie zum Beispiel der 1.4301 oder 1.4401) wiesen einen hohen Kohlenstoffgehalt auf. Dieser verringert gemeinhin die Korrosionsbeständigkeit des Materials (interkristalline Korrosion). Vor allem geschieht dies nach einer Wärmeeinbringung, wie zum Beispiel Schweissen oder Warmumformung.
Um dieser verminderten Korrosionsbeständigkeit entgegen zu wirken, bestand bis Mitte des letzten Jahrhunderts die einzige technische Möglichkeit darin, den Kohlenstoff im Stahl mittels Legierung von Niob oder Titan zu binden. Diese beiden Elemente binden den Kohlenstoff in Form von Karbiden. Es entstanden die neuen Edelstahl Güten 1.4580 und 1.4571 für V4A und 1.4550 und 1.4541 für V2A.
Technische Entwicklung in der Herstellung von Edelstahl
Ab den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Schmelz- und Umschmelztechnologien der Stahlwerke weiterentwickelt. Dies ermöglichte eine Reduktion des Kohlenstoffgehalts auf Werte von deutlich unter 0,03 Prozent. Hierbei handelt es sich um die sogenannten AOD (Argon-Sauerstoff-Entkohlung) und VOD (Vakuum-Sauerstoff-Entkohlung). Dank dieser Verfahren wurden gut schweissbare Edelstahl Güten wie der 1.4307 und der 1.4404 erst möglich.
Diese beiden Verfahren haben die Entwicklung von vielen neuen Werkstoffen ermöglicht, unter anderem auch die der ferritisch-austenitischen Güten, den sogenannten Duplex Edelstahl Güten.
Tradition verlangsamt Technische Neuerungen
Aufgrund der guten Korrosionsbeständigkeit im Einsatz bei chlorhaltigen Anwendungen, wurde und wird der 1.4571 seit den zwanziger und dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts in der Chemieindustrie eingesetzt. Dies hat zu einer Etablierung und Manifestierung in technischen Dokumentationen und Vorschriften geführt. Der Aufwand und die entstehenden Änderungskosten all dieser Dokumente werden jedoch gescheut. Dadurch wird der technische Vorschritt zur Einführung des Werkstoffs 1.4404 gebremst.
Selbst das Arbeitsblatt W541 vom DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches) definiert die Anforderungen für Trinkwasserrohre und spezifiziert die Güten 1.4401 und 1.4571. Mit der 2002 eingeführten EN 10312 wurde schließlich auch 1.4404 spezifiziert.
Bezeichnungen von Edelstahl Werkstoffgüten
Mit der EN10027-2 wird ein Katalogisierungssystem aus fortlaufenden Werkstoffnummern eingeführt (1.4404, 1.4571 und so weiter).
Ein weiteres System ist das amerikanische AISI/ASTM mit einer alphanumerischen Namenszusammensetzung: 316Ti oder 316L.
EN 10027-1 | EN 10027-2 | AISI / ASTM |
---|---|---|
X6CrNiMoTi17-12-2 | 1.4571 | 316Ti |
X2CrNiMo17-12-2 | 1.4404 | 316L |
Die chemischen und mechanischen Eigenschaften der Werkstoffe, welche in den jeweiligen europäischen (EN 10088) und amerikanischen (ASTM A240) Normen definiert werden, sind jedoch nicht immer deckungsgleich.
Während die EN 10088 den minimalen Titangehalt mit dem fünffachen Anteil des Kohlenstoffgehalts definiert, wird in der ASTM A240 der fünffache Anteil der Summe von Kohlen- und Stickstoff als Minimum des Titans verlangt.
So ist ein 316Ti immer ein 1.4571. Ein 1.4571 ist jedoch in den chemischen Mindestanforderungen nicht ausreichend, um auch der nach ASTM-Norm als 316Ti bezeichnet werden zu können.
Korrosionseigenschaften von Edelstahl 1.4571 und 1.4404
Das Korrosionsverhalten der beiden Werkstoffe 1.4571 und 1.4404 ist prinzipiell sehr ähnlich. Es gibt jedoch einige substantielle Unterscheidungen:
- Der titanstabilisierte 1.4571 hat eine höhere Anfälligkeit auf Lochfrasskorrosion.
- Demzufolge hat dieser Werkstoff auch eine geringere Beständigkeit gegen chloridinduzierte Spannungsrisskorrosion.
- Geschweisste und titanstabilisierte Profile aus Edelstahl mit der Werkstoffgüte 1.4571 haben eine niedrigere Beständigkeit gegen interkristalline Korrosion.
Auf andere Korrosionsangriffe sind die zwei Güten nahezu gleichwertig im Verhalten.
Mechanische Eigenschaften von Edelstahl 1.4571 und 1.4404
Die Legierung von Titan ermöglicht eine Erhöhung der maximalen Anwendungstemperatur. Edelstahl mit der Güte 1.4571 hat hingegen eine Warmfestigkeit bis zu 400 Grad Celsius. Bei der Werkstoffgüte 1.4404 liegt diese zwischen 300 – 350 Grad Celsius.
Bei anderen mechanischen Eigenschaften wie Kaltumformbarkeit, Kaltstauchverhalten und Kerbschlagzähigkeit führt die Titanstabilisierung zu einer Verschlechterung, was bei 1.4404 nicht der Fall ist. Deshalb finden Edelstahl Profile der Güte 1.4404 oft in Verbindung mit Kryoflüssigkeiten seine Anwendung.
Verarbeitungseigenschaften von Edelstahl 1.4571 und 1.4404
Je nach Anwendungszweck hat der Titangehalt Einfluss auf die Weiterverarbeitung des Werkstoffs:
- Zerspanbarkeit: Edelstahl mit den Güten 1.4404 und 1.4571 ist nicht typischerweise für das Zerspanen geeignet. Beim Werkstoff 1.4571 kommt als zusätzlicher negativer Aspekt hinzu, dass die Titankarbide sehr hart sind. Das führt zu einem erhöhten Werkzeugverschleiss und einer geringeren Geschwindigkeit bei der spanabhebenden Bearbeitung.
- Polierfähigkeit: Theoretisch führen Titankarbide beim Polieren zu dunklen Titanschlieren, die das Ergebnis der mechanischen Oberflächenveredelung nachhaltig beeinträchtigen.
Da jedoch die moderne Stahlwerkstechnologie die Reduktion der Gehalte von Kohlenstoff und damit auch des Titans ermöglicht, treten die Titankarbide in verringertem Ausmass auf. Somit treten kaum noch Beeinträchtigungen beim mechanischen Polieren auf. - Reinheitsgrad: Per Definition führt die Anwesenheit von Titankarbiden zu einer Verminderung des Reinheitsgrades des Werkstoffs. Dass ist beim 1.4404, mangels Titangehalt, jedoch nicht der Fall.
- Schweissbarkeit: Beide Werkstoffe sind mit gleichartigen Vorkehrungen und entsprechenden Schweisszusätzen schweissbar. Dies gilt auch beim Laserschweissen.
Vergleichstabelle zwischen Edelstahl 1.4571 und 1.4404
1.4571 | 1.4404 | |
---|---|---|
Korrosionseigenschaften | ||
Allgemeine Korrosion | gleich | gleich |
Lochfrasskorrosion | schlechter | besser |
Spannungsrisskorrosion | schlechter | besser |
Interkristalline Korrosion | schlechter | besser |
Mechanische Eigenschaften | ||
Wärmefestigkeit | besser | schlechter |
Kaltumformbarkeit | schlechter | besser |
Kerbschlagzähigkeit | schlechter | besser |
Kaltstauchverhalten | schlechter | besser |
Verarbeitungseigenschafen | ||
Zerspanbarkeit | gleich | gleich |
Polierfähigkeit | schlechter | besser |
Reinheitsgrad | schlechter | besser |
Schweissbarkeit | gleich | gleich |
Materialverfügbarkeit von Edelstahl 1.4571 und 1.4404
Von den beiden Edelstahl Güten wird der Werkstoff 1.4404/316L weltweit bevorzugt. Lediglich in Deutschland, Österreich und im osteuropäische Raum findet 1.4571 mehrheitlich seine Anwendung als säurebeständiger Stahl.
Dabei rechtfertigen die technischen Eigenschaften des Edelstahl Werkstoffs 1.4571 seinen Einsatz eigentlich nicht. Die über Jahrzehnte hinweg gefestigten und zum Grossteil in Vorschriften und Normen verankerten Gewohnheiten werden die Edelstahl Güte 1.4571 sicher weitere Jahre bestehen lassen.
Daher haben alle Produzenten von Edelstahl weiterhin sowohl 1.4404/316L, als auch 1.4571 im Fertigungsprogramm.
So werden auch bei Montanstahl genormte Edelstahl U-Profile, Winkel, Träger, oder Doppel-T-Träger und Edelstahl T-Profile sowohl in 1.4571 als auch in 1.4404 gefertigt. Dies führt im grossen Masse zu einer Verdoppelung der Lagerhalterung, die Montanstahl als weltweite Exportfirma in Kauf nimmt, um den Kundenwünschen gerecht werden zu können.
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